wir machen alle das gleiche

(kritik der kritik // Samstag, 3. September 2005, 16:57)

wie schon im kleinen schreibnetz der litblogs das wandern von themen, ihr auftauchen und durchsickern mir sehr spannend schien, wird es nun im wettbewerb möglicher, ein gefühl für die themenkreise zu bekommen, in denen sich anscheinend momentane konzepte bewegen. bevor es möglich ist, die je einzelnen realisierungen in ihrer unterschiedlichkeit zu beobachten, erstaunt mich, wie ich da zum ersten mal ein wort wie den überstrapazierten "diskurs" (oder verwandte konzepte) faßbar sehen werde. es existieren tatsächlich begriffsfelder, die das eigene interesse lenken und umhegen, es überhaupt erst formulierbar, konzeptionalisierbar, vergleichbar machen und damit natürlich auch bewertbar. auch erst umsetzbar, handelbar? auf diesen feldern kann sich das ansiedeln, was den einzelnen in seinem einzelnsein angeht und vielleicht nicht oder kaum mitteilbar ist, was eine äußerungsform sucht, richtlinien - was später eine generation oder einen stil oder ähnliches abgeben kann. gängigerweise führt man das auf die geschichtliche verfaßtheit einer gesellschaft zurück, also auf eine art abbildung der wirklichkeit im denken, oder? da scheint mir ein wenig zweifel zumindest angebracht. wir wissen ja, daß es kein beweis von unverzichtbarkeit ist, einen platz im gewächshaus zu kriegen, sondern eher eine beruhigende absicherung der versorgung mit wasser und dünger (jenem in großem stil hergestellten kunst-stoff, der die tomaten so schnell so groß und rot und geschmacklos werden läßt) neben jeder menge pflänzchen von der gleichen art. nachdem umfassende reflektiertheit gütesiegel und grundkapitalie geworden ist, frage ich mich, ob die weisen der sogenannten reflektion des eigenen handelns nicht weitgehend vorstrukturiert werden und so ein tatsächliches nachdenken verhindern (für ein denkmodell dafür siehe hier). das bild ersetzt auch hier leicht das schauen und ich habe ständig das gefühl, in diese falle zu gehen. ja: in sie gehen zu müssen, ständig, laufend. die frage nach der verkaufbarkeit des eigenen ist nicht abzuschütteln, sie klebt uns an der hautinnenseite.




interessant


ist schon der titel dieses posts: winfried böhm deutet in seiner pädagogik-einführung "theorie und praxis" die moderne als zeitalter der poiesis. es ist nicht so, daß wir alle das gleiche tun würden, es ist aber auch nicht sonderlich interessant, was wir tun, weil es am markt völlig vorbeirauscht. das produkt, das wir aber durch unser tun erzeugen, unsere selbstherstellung, formt sich immer schon an den anforderungen der identitätsbörsen. das hat vielleicht auch damit zu tun, daß so etwas wie wille auch in den bereich der praxis gehört, an dem sich seit einiger zeit so gerne abgearbeitet wird, weil er im grunde harmlos gemacht worden ist. der einzig politisch relevante praxisbereich ist doch das kaufverhalten - genau deswegen ist unser angeblich widerständiges denken ja in seiner struktur komplett an ökonomien ausgerichtet.

darum es auch durchaus opportun und verdaubar, das zu denken. wenn die insassen glauben, ihre zelle sowieso nicht verlassen zu können, muß ich sie auch nicht länger abschließen oder bewachen. jemand erzählte mir neulich, so wirke extreme angst: nach einem bestimmten punkt der gewaltanwendung ist der wille der opfer so zerstört, daß sie einfach nicht mehr fliehen werden.

aber natürlich ist es vermessen anzunehmen, hinter der freiheitlichen verfaßtheit unserer gesellschaft verberge sich eine so subtile wie dauerhafte institutionelle gewalttätigkeit, daß wir bei aller äußeren mobilität nicht mehr in der lage wären, uns gedanklich wirklich von der stelle zu bewegen.


isore, 05.09.05, 08:43


marcel proust - auf der suche nach der verlorenen zeit


[I]hre Äußerungen [...] entsprachen dem, was alle Leute desselben geistigen Niveaus zu einer bestimmten Zeit ausdrücken, so daß uns die Essenz davon wie ein Kreisbogen sogleich in die Lage versetzt, den ganzen Umfang zu beschreiben und begrenzen.


isore, 07.10.05, 10:00

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