merleau-ponty - die prosa der welt

(eins zwei viele // Donnerstag, 13. August 2009, 16:07)

Es wird zu wenig beachtet, daß sich der andere nie von Angesicht zeigt. Auch wenn ich in der Hitze der Diskussion meinem Gegner gerade ins Gesicht sehe, so findet sich in diesem heftigen, grimassierenden Gesicht, ja auch in dieser Stimme, die durch den Raum auf mich zukommt, nicht wirklich die Intention, die mich erreicht. Der Gegner ist nie ganz zu orten; seine Stimme, seine Gesten, seine tics sind bloß Effekte, eine Art In-Szene-Setzen, ein Zeremoniell. Ihr Urheber ist so gut maskiert, daß ich geradezu überrascht bin, wenn meine Reaktionen bei ihm Wirkung zeigen: dieses hervorragende Megaphon wird verlegen, seufzt ein paarmal, zittert ein bißchen, läßt ein paar Zeichen von Intelligenz erkennen. Man muß ja annehmen, daß drüben jemand war. Aber wo? Nicht in dieser überzogenen Stimme, nicht in diesem Gesicht mit Falten wie ein verbrauchter Gegenstand. Und noch weniger hinter diesem Apparat: ich weiß genau, daß es dort nur »Dunkelheit voller Organe« gibt. Der Körper des anderen steht vor mir – aber was ihn betrifft, so führt er eine ganz einmalige Existenz: zwischen mir, der ich denke, und diesem Körper, oder vielmehr nahe bei mir, an meiner Seite; er ist eine Art Verdopplung meiner selbst, ein heimatloser Doppelgänger, der in meiner Umgebung eher herumspukt, als daß er sich zeigte, er ist die unerwartete Antwort, die ich von irgendwo bekomme, als hätten durch ein Wunder die Dinge angefangen, meine Gedanken auszusprechen, als dächten und sprächen sie immer für mich, weil sie Dinge sind und ich ich bin. Der andere ist also stets am Rande dessen, was ich sehe und höre, er ist auf meiner Seite, er steht neben oder hinter mir, aber er ist nicht an der Stelle, die mein Blick durchbohrt und alles »Inneren« entleert.



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