auf dem land

(land // Donnerstag, 26. August 2004, 18:55)

die stadt ist ein kriegsgebiet, ein riesiges schneidewerkzeug, das das grauen des fremden in verdauliche portionen zerteilt: parks, straßenbäume, kanäle. sogar den regen zerschneiden die häuserkanten, bevor er den boden trifft. die stadt ist welt rationiert und rationalisiert (lévinas spricht vom il y a).

am montag ein ausflug mit n. an den rand der krise. die ubahn ist ein negativ der stadt, dunkle kanäle ohne speichermöglichkeiten, ein antikristall. wir tauchen kurz im gravitationszentrum von geschichte auf: heldenplatz, burgtheater, universität, freyung, hofburg, stephansplatz. die stadt ist erstarrende zeit, während es auf dem land gar keine zeit gibt, und auch keinen raum - nur die ebene und ihre schwingung. neben dem dom wieder abgetaucht und an der front das licht der welt erblickt. vom enkplatz auswärts sind industriepanzer in stellung gebracht gegen den sommer. vor den häusern beutehehler: man verkauft äpfel.

am alberner hafen stehen große ziegelspeicher wie flaktürme. daran vorbei führt der damm, der wall, ins land hinein. gelb-braunes gras, unmengen von springenden, fliegenden, krabbelnden insekten. schmetterlinge, heuschrecken. der weg schnurgerade, beidseitig abfallend. wir passieren den friedhof, ohne anhalten zu können.

das land, die landschaft, bevor ein mensch sie betritt, ist ein blatt papier, ohne oben und unten und links und rechts. ich baue mir einen sitz aus stein in der mitte und schaue in alle richtungen, die der himmel hat. sie sehen gleich aus, aber ich weiß ja: aus einer bin ich gekommen, in der entgegengesetzten bin ich nie gewesen. nach dem regen werden sich meine spuren verloren haben, dann ist es egal. das land ist ein himmel aus papier.

quer über weg, feld und donau eine strombrücke, alle 50 meter mit kameras bewehrt. damit niemand den strom stiehlt? wir rasten darunter: wasser und glücklicherweise eingepackte kekse. nicht nur das gras sticht im rücken, noch eine woche später bin ich von juckenden kratern übersät, wo mir unbekannte insekten löcher in die haut gebissen haben. n. und ich beissen uns nicht, obwohl ich große lust dazu hätte.

an der donau entlang zurück, stromaufwärts, an vorposten der zivilisation: kleine sommerhäuser auf stelzen, mit satellitenschüsseln und fluchtwagenparkplatz. n. will in einiger entfernung einen mann mit gewehr auf seinem grundstück patroullieren gesehen haben.

der friedhof ist klein, einer runden kapelle zugewandt. auf jedem grab steht ein schwarzes gußeisenkreuz mit versilbertem christus, der seinen kopf auf der immer gleichen seite abwärts hängen läßt. selbst die toten haben noch ihre marschordnung, wenn sie sich auf ihre füße stellen, schauen sie zum wasser, das sie das leben gekostet hat. ein mann dreht mit einer kamera endlose schwenks über die kreuze und die wegraster zwischen ihnen.

wir warten auf den bus in der "hafenkneipe", einem container am hafenende, unweit des schilds, auf dem wie zur beruhigung "wien" steht. n. wird von einer unrealistisch fröhlichen, jungen blonden tresenkraft abgezockt und traut sich nicht zu reklamieren. ich traue mich auch nicht. pommes und bier und die sonne und das jucken an füßen und waden - ein vorgeschmack. im bus bringe ich im gespräch das wetter mit küssen in verbindung und wir erreichen ein agreement, tauchen an einem ende der u3 unter und am anderen wieder auf, fahren auf den steinhof neben der psychiatrie und beginnen in zivilisierterer landschaft mit unserem privaten kriegsspiel. auf einer bank reckt sich ein hals.

wenn ich c. das erste mal sehe, weiß ich schon, daß sie ein stadtmensch ist: sie zerschneidet ein blatt papier, weil sie merkt, daß eine pflanze in ihr wächst, wo sie schon alles betoniert glaubte.



Please login to add a comment