lehrjahre sind keine herrenjahre






pollesch auf wirth


Das Lehrstück ist vielleicht das geeignete Medium für die Unmöglichkeit, weiter zu heucheln, dass uns die anderen Leben berühren oder die Geschichten davon oder die historische Wahrheit über den Menschen, unter die wir unsere Leben unterordnen sollen. Eine bessere Frage wäre, wo berühren die Leben uns wirklich, also politisch und nicht nur da, wo wir gezwungen sind, uns Geschichten unserer Gemeinsamkeiten zu erzählen. Das Dilemma der Geschichten ist das Fehlen eines gemeinsamen Ortes, von dem aus sie erzählt werden. Und dieser Ort ist nicht das Theater. Es wäre vielleicht ein Ort ohne Zuschauerposition. Wie das Lehrstück. Also eher ein Topos. (quelle)






meine gelehrigkeit nährt mich nicht.






anriß


mit der "dreigroschenoper" erreichte der versuch, innerhalb einer den verhältnissen ("die sind nicht so") angemessenen form widerspruch gegen diese form (die ist auch nicht so) zu organisieren, seinen höhepunkt. die verschiedenen formschichten - wie die schauspieltechnische organisation dieses widerspruchs (distanz zum dargestellten während des darstellens) oder der widerstand der sprachlichen und musikalischen zeichen gegen ihr system - bildeten einen raum, der auf die leerstelle des kritischen betrachters perspektiviert war. woher aber den nehmen, wenn es ihn noch nicht gab? diese frage nach der umerziehung des publikums (die sich freilich mit der damals umtriebigen frage nach dem "neuen menschen" deckte, selbst teil des gesellschaftsmodells war, das sie zu bauen aufforderte) führte geradewegs ins lehrstück. die selbstkritischen "kulinarischen" opern waren das schaubild eines sich selbst aufklärenden subjekts. dieses schaubild drängte nach körperlichkeit, es mußte ein dynamisches modell werden. zu besichtigen ist dieser übergang im "dreigroschenprozess", der die blaupause für die entwicklungstendenz des lehrstücks lieferte, das in seiner konzeption keineswegs die zuschauer ausschloß, wie gerne kolportiert wird, oder den schauspieler. es faßte diese instanzen lediglich gut dialektisch zusammen. die praxis mimetischen spiels als beispiel für das, was brecht "eingreifendes denken" nannte, wurde zur probe auf das leben selbst - und also, wiederum gut dialektisch, auf das sterben. mit der auflösung von aufführung, regie und autorschaft in das lehrstück ging außerdem zwangsläufig eine übermächtigkeit des autors einher, der nun schlechterdings die welt zu vertreten hatte. es braucht eben monteure und piloten in einem flugapparat, um abzustürzen. für das ineinanderfallen so vieler ebenen, für diese aufgabe des subjekts wurde der begriff des modells notwendig.

die brechtschen lehrstücktexte und -partituren sind von hoher komplexität, das modell ist ein kunstfertig gebautes habitat. seine technische qualität korrespondiert dabei seiner rigidität und mußte maß nehmen an seinen stoffen und deren ansprüchen: bürgerlichen kunst- und medienkonsumenten (der lindberghflug, badener lehrstück vom einverständnis), schülern (der jasager / der neinsager, die ausnahme und die regel), arbeitern im klassenkampf (die maßnahme) und wiederum schülern, nun allerdings nach der machtübernahme der nazis (die horatier und die kuriatier). daß die von den lehrstücken bearbeiteten stoffe nicht mehr existieren, mindert nicht die qualität der konzeption, die erst einmal einzuholen ist. die unvermindert wirksame literarische qualität spricht für sich. rein sprachlich trieb heiner müller das lehrstücks noch weiter, ihm fehlte allerdings der stoff oder der zugang dazu, deshalb bearbeitete er sich und gab diesen versuch bald erfolgreich auf. die mauser- wurde zur hamletmaschine, der lehrgang zum leerlauf, der ein besseres modell für die verhältnisse (die sind immer noch nicht so) abgab. wenn heiner müller das lehrstück zu ddr-zeiten schon zersprang (und dann begraben werden mußte), wie kriegen wir den entwurf heute wieder zusammen, was für ein stückwerk ließe sich heute sammeln, welche kraft hält die scherben in der luft? wir stehen in einer explosion und die zeit ist uns abhanden gekommen. alles schwebt.






wenn das einfache leicht ist, wie kann es dann schwer sein, es nicht nicht zu tun?






aristoteles- poetik, 4


Das Lernen bereitet nicht nur den Philosophen größtes Vergnügen, sondern in ähnlicher Weise auch den übrigen Menschen (diese haben freilich nur wenig Anteil daran).