den fritzpunkt plündern

(plünderungen // Montag, 14. März 2005, 17:20)



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Warum Naturgemäß I ? Das wirklich schmerzliche Problem ist für mich, die hohe literarische Qualität der von uns verwendeten Texte und den vergänglichen Augenblick Theater verweben zu müssen. Der nahezu aussichtslose Kampf, diese Unvereinbarkeit in den Dienst des Besuchers zu stellen, ist der wirkliche Motor der Formensuche. In Naturgemäß I signalisiert mir die Dichtung einen ähnlichen Kampf in entgegengesetzter Richtung. Alle Erzählstrukturen des Romans wollen den Augenblick des Geschehens fühlbar machen, dieser Kampf schimmert immer durch, während das Schreiben verlaufende Zeit diktiert. Müssen sich solch unterschiedliche Sehnsüchte nicht gegenseitig nähren? Öffentlich versuchen wir - das ist der harte Kern des Stadt Theater Wien - diese Frage zu be-handeln.

Ein unabdingbares Gegenuniversum zum schon bestehenden Textuniversum schaffen. Das Textuniversum braucht uns nicht! --- Um die theatralische Kapazität des Textes fruchtbar und sichtbar zu machen, braucht es uns und unser Gegenuniversum.

Regeln für die öffentliche Auseinandersetzung mit Fritz-Texten erarbeiten. Dann wird diese öffentliche Aneignung permanenter Ausdruck (Lehrstück). Und die Aufführung ist nur eine Form; für die Material gesammelt wird.

Immer deutlicher werden Namen Eigenschaften, die mythologische Ebene pflanzt sich damit fort, auch Humor hat da Platz (Nestroy). "Block-ad"e die ersten Reiter sind die e "Fass-ad" e

Vielleicht ist ein komplett untheatralisches Theater anzustreben, ein verschwindendes Theater, ein paradoxes Theater, das entstehen muss, ohne angestrebt zu werden.

Das zeitgemässe Theater ein paradoxes Theater.

Eine andere Verwendung von Ressourcen (Zeit, Material, Geld) als einzig mögliche Form von konkretem Widerstand gegen die entsolidarisierenden Zeitströmungen.

[z.b. verschwenden. nicht verwertbar sein, also ressourcen dem ökonomischen kreislauf entziehen.]

Wichtig wird immer mehr die Unterscheidung zwischen Interpretation (Beziehung, die das Subjekt zum Text hat, eine Bewegung hinein) und Deutung (Beziehung, die der Text zu etwas hat, eine Bewegung hinaus).

Tetralemma (Sanskrit: "vier Ecken") Urspr. Struktur aus der indischen Logik zur Kategorisierung von Haltungen und Standpunkten. Erweitert um die 5. Position (von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer) ­ "zur Überwindung verfestigter Denkmuster".

Die Positionen:

  1. Das Eine
  2. Das Andere
  3. Beides
  4. Keines von Beiden
  5. All dies nicht ­ und selbst das nicht

Es gibt keine an sich richtige und falsche Position. Jede Position hat ihren Wert und ihre eigenen Gefahren.

Eine Literatur, die zu ihrer Entzifferung und Deutung ein Kollektiv benötigt und damit zugleich die Bedingung schafft, ein solches zu konstituieren, betrachten wir als ideale Grundlage, kollektive theatrale Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Die nächste, folgerichtige Stufe der Annäherung an eine theatrale Umsetzung sehen wir darin, dem stationären Fritzpunkt Bewegung zu verordnen.

Die Fritz adressiert an ein Kollektiv, das eine Chance mehr in der Auseinandersetzung mit verpassten Möglichkeiten sieht, denn in der (voraus-eilenden) Hoffnung auf künftige. Im dramatischen Vorgang, den wir suchen, agiert ein Kollektiv die (gegenwärtige) Möglichkeit aus, die die Erinnerung an verpasste Möglichkeiten transportiert. Indem wir etwas tun, was wir nicht können , kommen wir in die Nähe der verpassten Möglichkeit. Und springen nicht in die vorschnelle Erfüllung einer Zukunft.

Karten von geistigen und geografischen Territorien zeichnen, wirkliche Modelle von Unwirklichkeiten bauen.

"verdächtige Bewegungen" "bewegliche Wahrheiten" "verpasste Möglichkeiten": 3 Motivkreise

Ist der Arbeitsraum über- oder untercodiert? Fordert das Verhältnis von Raum und Aktion, so wie es sich zurzeit darstellt, zur Aufmerksamkeit auf mehreren Ebenen heraus? Differenziert der Raum die Wahrnehmung des Geschehens weiter aus oder verkürzt er diesselbe? Führt das Einziehen eines ständig laufenden, stummen Fernsehbilds von CNN zu der erwünschten Übercodierung oder wäre das im Gegenteil bloss ein plumpes Hereinholen der sogenannten (Medien) Realität, eine unzulässige Verkürzung?

Für eine Aufführung: "Räumliche Vorurteile" schaffen, um die darin stattfindenden Handlungen "aufheben" zu können, also das Paradox (in Handlung und Raum) zu ermöglichen.

In der Aneignungssituation, während der täglichen Arbeit, geht es unter anderem auch darum, den "fünften Platz" freizuhalten, dh. die vier Fritz-Arbeitenden sind fähig, den unvermittelt eintretenden "Fremden" in ihre Arbeit zu integrieren, ohne sich in Erklärung(en) ergehen zu müssen oder von dem gerade Wichtigen wegführen zu lassen. Das ist möglich, wenn der Besucher potentiell immer da ist, dh. die Konzentration der Gruppe bedenkt in ihren Handlungen die "fünfte Person" immer mit. Eine solches Vorgehen ist Arbeit an einer Art von Kommunikation, die es in der jetzigen Gesellschaft nicht gibt. Wirklich? Einwände? Vorbehalte?

Theater als Werkzeug der Auseinandersetzung mit dem benutzten Raum, als Mittel zur Befragung architektonischer Zusammenhänge (= Speicherorte von kollektivem Gedächtnis) und damit gesellschaftlicher Zustände mittels Körper und Text. Die Architektur zwingt die Körper der Schauspieler in eine spezifische Bewegung, der Text des Orts interpretiert den Text der Autorin (und viceversa).

Eine beispielhafte architektonische Situation: Das Kippen eines Kommunikationsraumes in einen Kontrollraum. Diesen Vorgang in Theater übersetzen.

Wie baut man ein Lehrstück, das den Anderen meint? Die Technik des Krieges meint den Anderen. Das Vernichten meint die, die es vernichtet, aber sie sind trotzdem austauschbar.

[...] Inszenierte Erfahrung ist ungleich Lehrstück.

Die Vorwegnahme der Vergangenheit als Dokumentation der Zukunft

Das Nichtsehen bedarf eines blinden Flecks.

der Blick im Rohzustand

Die Stadt steht zu unserer Verfügung.

Aufgabe ist die Konstruktion einer theatralischen Realität, die sich im Moment der Realisierung selbst auflöst (aufhebt). Das Anlegen verschiedener Realitäten hintereinander wäre eine blosse Notkonstruktion.

"Aufhebekunst" und Denktraining. Immer an der Aufhebekunst scheitern: das eine und das andere darstellen, in der Mitte liegt die Lösung. Übung im Paradoxon. Paradoxien sind kathartisch.

Weggenommene Eindrücke verhindern Ausdruck. Zurück bleibt Druck, Abdruck.

Techniken des Spracherwerbs als Darstellungsform verwenden.

Das äußere Setting der Gerichtsverhandlung wird fallengelassen, übrig bleiben nur die Haltungen (Richterin/Verteidigerin/Ankläger), die der freien Rede der Fritzpunkte zugrundegelegt werden. Die Themen kommen aus den ausgewählten Fritz-Texten (immer noch S. 62/63), zB. "in einem zu ihr entgegenschlägt die Gier, alles für sich zu behalten" und werden vor dem Versuch nicht miteinander abgesprochen. Resultat ist eine verdichtete freie Rede, die mit den wiederum eingelesenen Fritz-Texten eine enge Verbindung eingeht.

Die wichtige Unterscheidung zwischen öffentlicher Probe mit Publikum und einem sich gemeinsam mit dem Publikum Verständigen über und im Material der Fritz-Texte.

Den Texten der Marianne Fritz eine Bedeutung jenseits der Benutzung im literarischen und theatralischen Sektor zumessen, als Werkzeug für komplexe Wahrnehmung und Röntgenapparat für die je eigene Methode, zu verstehen. Wie entwickle ich Verständnis, wie funktioniert Verstehen, auf welche grammatischen/semantischen Selbstverständlichkeiten verlasse ich mich, ohne sie zu hinterfragen? Die Fritz`sche Sprache als Wahrnehmungsuntersuchungs- instrument. Die Romane Naturgemäß I und II untersuchen sich selbst, während sie fortgeschrieben, fortgelesen, fortagiert werden.

"Rachefeldzüge, noch und noch, auf daß sie dorten unterblieben, wo es unmögliche Steigerungsformen gab, als wäre ein Rückzug in den Verstandesverlust immer zu vermeiden, bloß, wessen Glück ist das? Einer, der bewußt den Verstand in den Aufbewahrungsraum gibt, war möglicherweise zu wenig in Schüttelfrösten zu einem geworden, der alles sein >kann<, nur das nicht, was er

ist<." ( Naturgemäß I, S. 871 )

Kürzestdefinition: Marianne Fritz erzählt in ihren Texten vom offenen Mund, der vom Singen(wollen) spricht.

Zum Theater als (getarntes) Lehrstück:

Die Verweigerung des Inhalts verrät das "mitmachende Publikum". Wo die Methode zum Thema wird, ist der Mensch, der das nicht erkennt und weiterhin den Inhalt sucht, verloren. Je deutlicher der Verrat wird, desto eher wächst die Möglichkeit der Widerrede, mit der das Theater improvisatorisch umgehen muß und will. Über den Verrat wird so die Lust am teilnehmenden Erkennen geweckt.

Die Texte der Marianne Fritz, der 1. Sachverständigen für Repressionsszenarien, verstanden als Handlungsanweisungen, als ideale Folie für den Verrat auf dem Theater, der das Theater zum Fall macht.

[...] Naturgemäß auch (aber dennoch immer wieder erstaunlich) die Haltung in der dem Versuch folgenden Befragung durch die Studentinnen und Studenten, daß Kultur und Kunst eigentlich erst dann stattfindet und goutiert wird, wenn eine entsprechende Vorankündigung und Legitimierung durch Rituale des gegenwärtigen Kulturbetriebs geschieht.

[die bedingungen für die möglichkeit des entstehens des beschriebenen raumwirkens schaffen]

"[...]Das Chaos. Es ist deine Grenze! Merk sie dir endlich! Wie kann das ein unvollkommenes Wesen begreifen? Was es nicht begreifen kann, wird es rasch wieder vergessen; denn das Begreifen ist an den Begriff gebunden, an das Wort, an die Sprache, nicht an das Bild. Die Verbindung des Begreifens mit dem Bild ist so vergeblich wie die verzehrende Sehnsucht des Nichtsehens, es könne sein: ohne Sehvermögen. Das Nichtsehen verweist auf das Sehvermögen, wie kommt das Nichtsehen dazu dermaßen unauflöslich mit dem Sehvermögen verknüpft zu sein? Wie kommt das Dasein des Nichtsehens dazu, das Dasein des Sehvermögens zu sichern? Gleich wie immer das sei, es leichter war, dem Sehvermögen und dem Nichtsehen die Triebkräfte zu übertragen und sie zu beleben mit dem, was gewesen sein wird." Marianne Fritz Naturgemäß I, 1996

Theatrales Feld: Was wie "Reden über" aussieht, wird das Geschehen an sich.

Kathartische Funktionen als riesige Entschuldigungsmaschinen, als Beichtstuhlmaschinen: Mit der Unverwendbarkeit von Katharsis eröffnet sich ein Argumentationsraum, der keine Lösung mehr finden kann/will (vgl. Sophokles: Ödipus auf Kolonos).Wir delegieren den existenziellen Angstschrei an das Publikum.

".. wenn du mein Hirn gefunden hast, erzähle ihm Vertrautes, schmeichle ihm, gib ihm die Gewißheit wieder, es hat alles im Griff, es dauert nur ein bißchen, dann ist es wieder, als wäre ihm nie etwas geschehen, als wäre es wie immer, dazwischen war bloß das Nichts und im Nichts geschah ihm nichts, der Rest war der Alptraum, den es geträumt hat, nicht einmal selbst, es hat ihm bloß zugeschaut, wie der Alptraum sich aufgelöst hat im Nichts, wie gesagt, sage ihm, es hat alles im Griff, bald wieder, sieht es, was es kennt." Marianne Fritz Naturgemäß II, 1998




die quelle


bitte die geplünderte quelle als zugänglichen link setzen, sonst versiegt sie, bevor sie noch gesprudelt hat. danke.

einer von der quelle


leber, 21.03.05, 17:25



oh, verzeihung, der fehler ist korrigiert. ich kann, wenn die plünderung unangenehm ist, den teil auch privatisieren.


isore, 22.03.05, 20:33



im gegenteil. die bemerkung geschah im sinne der allgemeinen quell- zugänglichkeit. privatisiert wird schon genug. an die arbeit.


leber, 23.03.05, 11:05



:)


isore, 23.03.05, 14:38

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