abgebr. | |
schaum ach, der tag schlägt schon blasen, sagt sie, siehst du, wie die zeit an der zimmerdecke zerplatzt, fragt sie, laß uns rausgehen heute, sagt sie. wegen der sonne, und dem schnee, und der luft, und überhaupt. sie mag es, wenn ich nicht bei mir bin, so weggeschnurrt in eine haut, durch die sie nicht sehen kann. ich zähle. kaum höre ich etwas, so sehr konzentriere ich mich. das kann sie natürlich nicht wissen, weil ich ihr nichts gesagt habe davon. ich kenne eine frau, die muß alles, was sieht, in dreiecke zerlegen, je komplexer sich die welt in ihr blickfeld schiebt, desto angestrengter sieht sie aus, während sie versucht, über diesen zwang hinweg zwanglos zu reden. wo kommen diese programme her, die man nicht abstellen kann, wie ein viraler code schleicht sich das ein: ich finde schon ein prinzip, in das ich dich sperren kann. höhere ordnungen, das klang doch mal gut, und ich überlege, ob staubfäden ein entwickelterer staub sind oder auch nur dreck. wollmäuse, habe ich gehört, die sich unter dem bett verstecken, um dem beuteschema meines staubsaugers zu entkommen, aber wenn sie sich vorwagen... ihre augen sind auch schon ganz dreieckig, ich kenne das, sie will nicht schätzen, daß mich ihre anwesenheit inspiriert, an völlig abwegige dinge zu denken. schnee ist doch besser als staub. morgen ist es schon zu spät, denn dann ist es auch nur dreck, und die sonne vielleicht in einem anderen land, oder auch nur hinter dem nächsten berg. ich kämpfe mich mühsam nach vorne, um sprechen zu können. |
erbsen
ich schreibe dir nicht. sagt sie; es ist nicht für mich bestimmt, sie sagt es an mir vorbei. ich schreibe ihm nicht, und dann sieht sie mich an: aber ich schreibe ihm jetzt, daß ich es nicht kann.
da war dieser mann, der mich ansprach, und seine augen glänzten, und er ist ein künstler, er arbeitet mit glas. und es ist eine spätseptembernacht, warm wie im hochsommer, in berlin. und ganz in der nähe, nur kurz um die ecke, an der wir vorbeiliefen an diesem morgen, um ein frühstück zu finden, saßen wir auf einem abrißgrundstück auf ikea-plastiksesseln und tranken wäßrige cocktails und sprachen in mindestens zwei sprachen über glas. und ich erzählte ihm, nein, ich fragte ihn, ob er diesen alten film kenne. das kalte herz. wie man der ordnung halber fragt, natürlich kennt er ihn nicht.
du machst einen bogen, sag ich zu ihr. ja, sie sagt: ja, das ist ja der sinn der sache. schätzchen, das ist doch nicht der sinn der sache, sagt oma, wenn ich das pflaster vom juckenden schorf abpule.
language is a virus, ruft er plötzlich, laut und lachend. diese haare! tell me about the cold heart! ein alter defa-film, eine alte geschichte, wohl aus dem siebengebirge. warum denke ich dieses wort, siebengebirge. wahrscheinlich ist es falsch. rübezahl als nächstes. wahrscheinlich ebenso falsch. und dann denke ich an dich.
also. in dem alten film gibt es eine szene, da hängen lauter herzen aus glas an einer wand in einer höhle. der riese hat sie den menschen genommen, hat ihre seele genommen und all ihre wünsche erfüllt. die herzen aus glas in dem alten film wurden von einem glasmacher, wohl aus dem erzgebirge, für diesen film geblasen. sie hängen an dieser wand, es sind die fünfziger jahre, und werden über ein schlauchsystem mit roter flüssigkeit durchpulst. kein trick, keine software, nur gutes szenenbild und requisite. mundgeblasene gläserne herzen verschiedener größen.
viele jahre später hat meine mutter im defa-fundus diese herzen gesehen und eines mitgenommen, gestohlen. und mir geschenkt. und jetzt liegt es in meiner glasvitrine.
ist es leer, fragt der glaskünstler. ja, leer, einfach klares glas, ganz leer. sieht es aus wie ein symbolisches herz oder ist es anatomisch korrekt? beides, es ist beides. und er sagt: ach. er sagt auf deutsch: ach! könnte ich es sehen? oder, könnte ich es haben? i need some translation. ob er es borgen könne?
ich soll dir mein gläsernes herz geben?
ja.
warum?
ich könnte einen abdruck machen. und dann mehr gläserne herzen.
aber warum?
weil es eine wunderbare geschichte ist. vom kalten herz, das eine requisite war und gestohlen wurde und jetzt in deiner vitrine liegt.
niemand wird es wissen. wenn er die herzen sieht, die du gemacht hast.
ja, nur wir werden es wissen. aber zuerst muß ich den film sehen.
den film sehen.
dessen letzte einstellung zwei den bahnhof entgegengesetzt verlassende s-bahnen in berlin sind. dieser schmerzlich helle sommermorgen. das herz und das haus und der weg und die mauer, im fall, in zeilen. ein stummfilm. ein sommernachtstraum ohne raum und bühne. die nebenrollen fort, abgegangen, unerwählt. tuscheln in den gassen.
sag mir, mein herz, wie dreht man einen stummfilm, in dem die protagonisten nicht aufhören zu sprechen? wenigstens habt ihr gesprochen, würde der mann, der mein gläsernes herz will, sagen. warum nur habt ihr gesprochen.
er denkt, sie sagt fällt mir ein, wie du einfielst in meinen gedankenfluß, von wäßrigen cocktails umspült, von gläsernen herzen sprechend in einer nacht im september in berlin. und um die ecke konnte ich unsere schrittabdrücke noch sehen. es ist der anfang eines textes, den ich vor vielen jahren schrieb. er denkt, sie sagt, komm über den platz. so geht es wohl weiter.
der text spricht von einer nacht in leipzig, november, kalt und regen und ich, und er, mit dieser linie über der hüfte, das findet sich selten. nachdem wir im cafe saßen, beim einzig möglichen rotwein, es war in den achtzigern, tiefer kalter osten, und er sitzt da und rutscht auf seinem stuhl hin und sagt dann, sehr spät, und stockend, ein stummfilm: bitte. bitte hör auf, mich so anzusehen, ich kann das nicht aushalten. nächste einstellung: der platz. später, nachts, lehnt er nackt an seinem kachelofen und hat diese linie über der hüfte und friert dennoch. friert so sehr. und friert weiter in meinem arm, in meinem körper.
siehst du, ich mache einen bogen, ich weiche aus, weil ich denke, und mir nicht einfällt zu sagen: er friert in mir und glüht, seine beine und hüften und sein rücken und seine arme und seine stirn glühen, ich fasse im traum nach meinem hals und fühle den schweiß seiner stirn. wenn ich nur mutig genug wäre, könnte ich es noch sehen im spiegel, den abdruck. aber das läßt sich nicht sagen. und wenn ich es sage, sagt sie, dann schieb ich es weg. ganz leicht, mit einer dieser bewegungen, nur einem wort.
frag nicht, würdest du sagen, ich denke, du würdest sagen: frag mich nicht mehr danach. es ist gut. oder: es ist schlecht. häng nicht an mir. just hangin' around, nicht wahr, gibt man den worten auslauf, laufen sie aus. das hat auch meine oma gesagt, ich schwöre. und schneidet die bandnudeln kurz, die dann auf brettern und tabletts in der wohnung zum trocknen ausliegen.
und ich glaubte, und zwar sehr lange, ich glaube, ich war elf, als ich begriff, daß spirelli-nudeln nicht auf büschen wachsen, ich glaubte, spirelli-nudeln wachsen an büschen wie erbsen, mein herz.
thront, 08.01.04, 04:19