ablauf

(blätter // Sonntag, 27. Juli 2003, 15:46)

ich wache auf und bin müde: so geht das schon seit tagen. ich stehe nur auf, um das fenster gegen den tageslärm zu schließen, und liege dann bis nachmittags im bett und starre an die decke.

irgendwann stehe ich auf und dusche eine halbe stunde und ziehe mich an. nur, um etwas zu tun. essen will ich nichts, trinken tue ich nur aus vernunft. dann setze ich mich auf den teppich, in die mitte des zimmers, schaue auf die wand oder den schrank oder aus dem fenster in den himmel, der bösartig blau über dem tag hängt. ich schalte das radio ein, um gesellschaft zu haben, ich schalte es ab, ich schalte es wieder an.

ich habe die wohnungstür abgeschlossen und die klingel abgestellt, ich habe das telefon mit integriertem faxgerät ins tiefkühlfach gelegt, ich habe die fernbedienungen von fernseher, videorecorder und dvd-player weggeworfen, ich habe computer und laptop mit einem passwort belegt, daß ich sofort vergessen habe. ich habe mich aus der welt ausgeloggt. an das radio hatte ich nicht gedacht, weil ich radio hasse, weil ich nie radio höre.

ich habe fieber, sagt das thermometer, und im radio sagt jemand "menschen wie du und ich" und ich lache, weil dieser satz so absurd klingt, weil diese wörter so sinnlos klingen, denn es gibt niemanden, der so wäre wie ich, und ganz bestimmt gibt es keinen, der so ist wie du, und ich werde wahnsinnig beim gedanken daran, daß du einen anderen menschen so anschauen könntest, wie du mich angeschaut hast, und dinge sagen, die einmal den raum gesprengt haben, in dem wir lagen.

ich stelle mir vor, wie wir miteinander reden, ich stelle mir vor, wie wir miteinander schlafen, ich stelle mir vor, wie wir uns küssen, ich stelle mir vor, wie wir uns schlagen. ich stelle mir vor, wie du lachst, wie du gehst, wie du die hände ballst, wenn dir etwas nicht paßt, wie du dir auf die lippen beißt, wenn du dich konzentrierst, wie du daliegst, wenn du wieder einmal vor mir eingeschlafen bist. ich stelle mir den geruch deiner haare vor, den geruch deines schweißes, den geruch des atems aus deiner nase nach einem langen tag, den geruch deiner möse, den geruch deiner füße, ich stelle mir die geruchsspur vor, die alles das und der rest von dir auf dem bett hinterlassen.

dann stelle ich mir alle deine freunde vor, bei denen du jetzt möglicherweise bist.

abends sitze ich immer noch da, im schneidersitz, die hände im schoß, den kopf etwas nach links geneigt, ich sitze auf dem boden und sehe durch die wand und höre den geräuschen der stadt vor meinem fenster zu und denke nichts mehr, nur noch, daß ich nichts mehr denke, und plötzlich ist deine stimme da, schräg hinter meiner rechten schulter, und sagt nur ein wort, klar und laut. ich fahre auf und herum, und natürlich ist da niemand, obwohl deine stimme sich so körperlich anhörte.

erst als ich auf das gefühl auf meinen armen schaue, merke ich, daß es zu schneien begonnen hat.



Please login to add a comment