merleau-ponty - die prosa der welt


Es wird zu wenig beachtet, daß sich der andere nie von Angesicht zeigt. Auch wenn ich in der Hitze der Diskussion meinem Gegner gerade ins Gesicht sehe, so findet sich in diesem heftigen, grimassierenden Gesicht, ja auch in dieser Stimme, die durch den Raum auf mich zukommt, nicht wirklich die Intention, die mich erreicht. Der Gegner ist nie ganz zu orten; seine Stimme, seine Gesten, seine tics sind bloß Effekte, eine Art In-Szene-Setzen, ein Zeremoniell. Ihr Urheber ist so gut maskiert, daß ich geradezu überrascht bin, wenn meine Reaktionen bei ihm Wirkung zeigen: dieses hervorragende Megaphon wird verlegen, seufzt ein paarmal, zittert ein bißchen, läßt ein paar Zeichen von Intelligenz erkennen. Man muß ja annehmen, daß drüben jemand war. Aber wo? Nicht in dieser überzogenen Stimme, nicht in diesem Gesicht mit Falten wie ein verbrauchter Gegenstand. Und noch weniger hinter diesem Apparat: ich weiß genau, daß es dort nur »Dunkelheit voller Organe« gibt. Der Körper des anderen steht vor mir – aber was ihn betrifft, so führt er eine ganz einmalige Existenz: zwischen mir, der ich denke, und diesem Körper, oder vielmehr nahe bei mir, an meiner Seite; er ist eine Art Verdopplung meiner selbst, ein heimatloser Doppelgänger, der in meiner Umgebung eher herumspukt, als daß er sich zeigte, er ist die unerwartete Antwort, die ich von irgendwo bekomme, als hätten durch ein Wunder die Dinge angefangen, meine Gedanken auszusprechen, als dächten und sprächen sie immer für mich, weil sie Dinge sind und ich ich bin. Der andere ist also stets am Rande dessen, was ich sehe und höre, er ist auf meiner Seite, er steht neben oder hinter mir, aber er ist nicht an der Stelle, die mein Blick durchbohrt und alles »Inneren« entleert.






deleuze/guattari - anti-ödipus


Wie wäre der ganze vitale Verlauf nachzuzeichnen? Entsprechend einer ersten, kurzen Fassung: die Disjunktionspunkte auf dem organlosen Körper bilden um die Wunschmaschinen herum Konvergenzkreise; das Subjekt, neben der Maschine als Residuum erzeugt, deren Anhängsel oder Ansatzstück also, durchläuft nun alle Zustände des Kreises und wechselt über von einem Kreis zum anderen. Selbst nicht im Zentrum stehend, nicht von der Maschine in Anspruch genommen, am Rande lagernd, ohne feste Identität, immerzu dezentriert, wird es erschlossen aus den Zuständen, die es durchläuft. [...] Um den Kreis herum, aus dessen Zentrum das Ich desertiert ist, breitet sich das Subjekt aus.






1, 2, viele


habe im supermarkt zum ersten mal bemerkt, dass die anlage der kassen mit ihren korridoren, die die einzelnen schlangen voneinander trennen, exakt die gleiche ist wie die passkontrolle im petersburger flughafen. man sähe es nur schwerer, wegen des ganzen bunten flitters drumherum und der betäubenden musik. dann dachte ich : naja, immerhin kann ich noch bargeldlos bezahlen und so schnell können sie einen anhand der überwachungsvideos noch nicht identifizieren.






diese verlegenheit, mit der sie sich fortwährend dafür entschuldigte, nicht beschreiben zu können, was sie fühlte, weil sich die welt, die dazu notwendig gewesen wäre, aus der verantwortung gestohlen hatte, war ihr zum wesentlichen ausdrucksmittel geworden, diese verlegenheit war ihre kunst und ihre liebe.






guy debord - in girum imus nocte et consumimur igni


Dieses Publikum, dem man so vollkommen die Freiheit entzogen hat und das dies alles geduldet hat, verdient weniger als jedes andere, dass man es schont. Mit dem traditionellen Zynismus derer, die die menschliche Neigung, ungerächte Kränkungen noch zu rechtfertigen, kennen, verkünden die Manipulatoren der Werbung heute in aller Ruhe, daß 'man ins Kino geht, wenn man das Leben liebt'. Aber dieses Leben und dieses Kino gelten gleich wenig; insofern sind sie tatsächlich beliebig austauschbar.






für uns


wenn du trauerst so gehe hinaus auf die strasse an eine ecke wo viele menschen vorbei-

kommen jeden tag und trauere dort für uns






Betriebliche Bündnisse für soziale Kapitalpartnerschaften






vier handvoll gedichte bockshorngesänge unter der herzklappe gefaltet zu tragen:

  1. das gefälschte mädchen
  2. die vorher-nacher-geliebte
  3. das halbe doppel
  4. die gemahlene frau
  5. die zerrissene
  6. die gepanzerte
  7. die reisende weise
  8. die blickaufstellung
  9. die geduldete
  10. die frau mit den nächtlichen lippen
  11. die erpresserin
  12. die unerlöste
  13. die unpassende
  14. die benutzte
  15. die überredete
  16. die harte und die weiche frau
  17. die augenwischerin
  18. die sich entblößende
  19. die zwiegespaltene
  20. die gespiegelte frau





rinde, alt


die straße hinunter. vor den laternen flackert der maischnee, fällt hell in die lücken. ein staub will es schaffen, das singen zu lernen. nur heim in den tunnel hinter dem rücken.

wie ich dich wende, das bild will nicht weichen unter den sohlen und hinter dem schnee. du fällst in die lücken zwischen den zeichen. mein auge hat hörner. ein staub tut ihm weh.

nur zwischen den ohren vermischt sich das reiben. nur hinter dem rücken zerdrückt sich das salz. ich fang an zu atmen. ich lasse es bleiben. das bild will nicht weichen. es hängt mir im hals.

dein bett trennt uns auf und ich liege in fäden unter den lücken. ein flaches gefühl. hinter dem rücken: der baum mit den gräten. der schneebetonbaum. er trug nicht so viel.






@ cybernetics


Die Vorstellungen wurden konkreter, als man die Idee bekam, dass möglicherweise nicht die Personen selbst krank oder verrückt sind, sondern vielmehr die Art ihrer Kommunikation. Man begann, versuchsweise, den Blick umzulenken, die Beziehungen zwischen den Menschen ins Auge zu fassen.

Ein bekanntes Beispiel sind die Untersuchungen der Forschergruppe um den Anthropologen Gregory Bateson. Auf der Suche nach einem umfassenden Schizophrenie-Verständnis entwickelte sie in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Konzept des Double-binds. Ein Double-bind, zu deutsch „Beziehungsfalle“, ist ein Beispiel für „ungesunde“, „kranke“ Kommunikation.

Bateson und Kollegen (1969) untersuchten die Kommunikation in Familien mit schizophrenen Mitgliedern und stellten fest, dass sie häufiger solche Double-binds entdeckten. Sie entstehen, wenn [eines] ein anderes Familienmitglied in die Situation bringt, dass das, was auch immer es tut, falsch ist – und ihm die Möglichkeit genommen wird, zu erkennen, dass es in einer ausweglosen Situation gefangen ist. Die Forscher gingen davon aus, dass diese Kommunikationsmuster schon früh erlernt werden.

(quelle)






koordinaten


immer dieses ich und du. zwei krücken, die dem gefühl helfen sollen, vom rechten fleck zu kommen. das feld zu räumen, vielleicht.